Der Kontakt zu Kundinnen und Kunden ist das Wichtigste in jedem Business. Im Marketing sind zahlreiche Lehrbücher über Kundenbeziehungsmanagement, Sales-Management u.v.m. geschrieben worden. In den wenigsten erhält man Antworten auf den aktuellen radikalen Wandel des Marketings durch neue digitale Technologien.
Bloching et al. schreiben dazu: „Neue Daten, Vernetzung, Automatisierung und die digitale Kundenschnittstelle sprengen bestehende Wertschöpfungsketten. Unternehmen müssen ihre Produkte und Fähigkeiten hinterfragen und ihre digitale Reife erhöhen, um neue Möglichkeiten zu erkennen, zu entwickeln und schnell umzusetzen“[1].
Der digitale Kundenkontakt wird zum Game Changer für alle Bereiche: Lead-Generierung, schnelle und unkomplizierte Kommunikation mit den Kunden, Bezahlsysteme, Service und After-Sales, Planung und Automatisierung für schlanke, effiziente Marketingprozesse, Vorhersage von Kundenverhalten – kein Bereich bleibt aus. Der digitale Zugang zum Kunden ist nach Roland Berger einer der vier wichtigen Hebel in der Digitalisierung, neben den Themen Automatisierung, Daten und digitaler Verbundenheit (z.B. 5G) [2]. Alle diese vier Themen sind natürlich auch miteinander verbunden. Die Kommunikation an der digitalen Kundenschnittstelle ist oft ein Dialog und geht vom Anbieter zum Kunden und zurück.
Zum Thema digitale Kundenschnittstelle und Mittelstand schreibt die Unternehmensberatung Vivaldi 2017: „Der Mittelstand verliert den Kampf um die digitale Kundenschnittstelle. Die Unternehmen fühlen sich von externen Marktteilnehmern getrieben und verzetteln sich in Ressourcenallokation und Maßnahmen der digitalen Transformation. [2]
Wie immer gibt es Möglichkeiten und Herausforderungen.
Die Möglichkeiten
Neue Produkte, Dienstleistungen und neue Geschäftsmodelle Dank Daten an der DKS
Aus den Daten, die man aus digitalen Kundenschnittstellen gewinnt, kann man neue Einsichten in das Kundenverhalten gewinnen. Hieraus ist es möglich Kundenverhalten vorauszusagen. Sie kennen das auch von Amazon: „Kunden, die das gekauft haben, kaufen auch…“.
Finden Sie Muster im Kundenverhalten heraus und machen Sie ihren Kunden zum richtigen Zeitpunkt spezifische Angebote [4]. Wenn Sie ihre Bedienungsanleitung nicht mehr drucken, sondern als interaktive App ins Netz stellen, können Sie nicht nur auswerten, was ihre Kunden besonders brauchen, sondern auch, was ihnen vielleicht fehlt. Analysieren Sie, wo Sie sinnvollerweise aus analog digital machen können. Sie werden überrascht sein, wie lang die Liste wird.
- Messekontakte
- Bezahlsystem
- Produkt-Informationssystem (PIM)
- Kundeninformationssystem (CRM)
- Sensoranbindung von Maschinen bei Kunden für Service
- Produktorder im Web-Shop anstatt per Fax
- Webkonfigurator für Produktzusammenstellung
- u.v.m.
Viele Kunden haben es aus dem B2C-Bereich gelernt, den Anbietern Arbeit abzunehmen. Zum Beispiel wird die Arbeit beim Check-in-Prozess für einen Flug komplett vom Kunden übernommen. Für standardisierte Prozesse bieten sich Shop-Systeme oder Webkonfiguratoren an – die übrigens wieder viele Daten produzieren. Dieses Potenzial, Bestellprozesse zu automatisieren, haben viele Mittelständler noch gar nicht gehoben.
Neue Services und After-Sales-Geschäftsmodelle sind über digitale Kundenschnittstelen möglich. Beispielsweise verkauft ein Kompressorenhersteller aus Süddeutschland einigen Unternehmen keine Kompressoren mehr, sondern nur die gelieferte Druckluft [4].
Die Herausforderungen
Die Menschen
Ihre Kundschaft verändert sich. Die Generation Z (GenZ) ist um 2000 geboren und kennt es gar nicht anders als „always on“ zu sein [5] Kundenerfahrungen aus dem B2C-Bereich werden in den B2B-Bereich transformiert. Alles, was man aus dem Alltag kennt, wird übertragen. Genauso, wie man in 20 Minuten eine Reise mit Hotel, Flug und Mietwagen bucht, möchte man einen Produktionsauftrag platzieren. Jeglicher Komfort, der durch digitale Erfahrungen möglich gemacht wird, werden Kunden in irgendeiner Form erwarten. Das war übrigens unser großes Thema beim 2.#HSHLDigitalMarketingDAY zum Thema Digital Customer Experience . Spätestens wenn die ersten Einkäuferinnen und Einkäufer aus der Generation Z übernehmen, werden die Anforderungen an digitale Kundenschnittstellen signifikant steigen.
Gleichzeitig haben Unternehmen die Aufgabe, ihre Belegschaft bei diesem Thema mitzunehmen. Aus einem Ü60-Vertriebler wird man kaum einen GenZ-Rezo-Youtuber machen. Das Unternehmen DFP Pott aus dem sauerländischen Plettenberg hat es geschafft die Mitarbeiter einzubinden. Ein traditioneller Lohnfertiger der Dreh- und Frästechnik arbeitet in der Fertigung komplett papierlos und kann seine Kunden jederzeit über den Auftragstand bis zur Versendung der fertigen Teile informieren. „Do it like Amazon“ ist übrigens ein Vortrag auf unserem 3.#HSHLDigitalMarketingDay zum Thema digitale Kundenschnittstellen.
Die ganz große Herausforderung ist die Diversität der Generationen. Der 59-jährige Einkäufer möchte noch ein Fax zugesandt bekommen und die 26-jährige Projektmanagerin erwartet eine Instant-Message über WhatsApp-Business. Fragen Sie regelmäßig ihre Kunden, wie sie erreicht werden wollen. Für diese Herausforderung gibt es keine Patent-Lösung, sondern immer nur eine aktuell bestmögliche Lösung.
Rasanter technologischer Wandel
Beim analogen Telefon hat es 75 Jahre gedauert bis 100 Millionen User erreicht waren [6]. Beim Singles` Day am 11.11. 2019 von Alibaba hatte es in den ersten 18 Stunden und 31 Minuten mehr als eine Milliarde Bestellungen gegeben. In der ersten Minute wurden über eine Milliarde Dollar umgesetzt.[7]
Beim digitalen Wandel gibt es nur die Sicherheit, dass sich vieles mit rasender Geschwindigkeit ändert. Die Gründe dafür sind die technologischen Entwicklungen bei der Datenübertragung (z.B. 5G) und die Macht der Kunden. Welcher SocialMedia-Kanal in zwei Jahren dominant sein wird, weiß niemand, denn bei vielen digitalen Dienstleistungen sind die Kosten des Wechselns für die Kunden gleich Null. Die einzige Möglichkeit, die vielen Mittelständlern sinnvollerweise bleibt, ist sich zu fokussieren. Der eigene Internetauftritt wird sicherlich noch lange Zeit zu den wichtigsten digitalen Kundenschnittstellen gehören. Auch hier gibt es zahlreiche Änderungen, zum Beispiel bei Suchmaschinen, Möglichkeiten zur Automatisierung und Verbesserung des Kundenerlebnisses. Hier bleibt den KMU (kleinere oder mittlere Unternehmen) nichts Anderes übrig als regelmäßig an dieser digitalen Kundenschnittstelle zu investieren.
Die schnellen technologischen Entwicklungen überfordern viele KMU. Es fehlt Orientierung und Überblick in welche Entwicklungen investiert werden muss und in welche nicht3. Hier hilft nur regelmäßig zu KMU-Netzwerkveranstaltungen zu gehen und Kontakte in die nahegelegenen Hochschulen zu halten, um sich zu informieren. Der #HSHLDigitalMarketingDay soll dabei helfen.
Plattformen besetzen digitale Kundenschnittstellen zum Nachteil der KMU
Plattformen sind mindestens zweiseitige Handelsplätze, die Anbieter und Kunden zu ihrem Vorteil verbinden [8]. Booking.com zum Beispiel verbindet Touristen und Anbieter von Übernachtungen. Selbst
hat das Unternehmen nur ein Gebäude und zwar die Zentrale in Amsterdam. Wenn Plattformen sehr mächtig werden, agieren Sie oft im Sinne der Endkunden und schreiben Anbietern Preise und Konditionen
vor[9].Beim oben beschriebenen Singles‘ Day sind die georderten Waren sehr oft noch gar nicht produziert, wie der ehemalige „Chief of staff“ von Alibaba, Ming Zeng, schreibt [10].
Markenunternehmen inserieren auf Alibaba Produkte, die erst nach Eingang der Bestellung bei externen Lohnfertigern produziert werden. Wenn zum Beispiel am Singles‘ Day an einem Tag für 35
Milliarden Euro Waren geordert werden, haben die nachgelagerten Fabriken einiges zu tun [11].Ob am Ende der Wertschöpfungskette dann eigenständig agierende Unternehmen stehen, kann man sich dann
natürlich fragen. Amazon geht sogar dazu über, beliebte Produkte selber zu produzieren [12]. Das ist eigentlich ein „no-go“ für Plattformen, weil sie damit ihre Neutralität gegenüber den
Anbietern auf Amazon Marketplace verletzen [13]. Amazon kann sich das aufgrund seiner Marktmacht über die digitalen Kundenschnittstellen als Plattform anscheinend leisten. Wie im B2C-Bereich
können Plattformen B2B-Hersteller, -Zulieferer und bisherige dominante Marken zu einer verlängerten Werkbank ohne eigene Handlungsoptionen degradieren. B2B-KMU haben bisher in der Regel keine
eigenen strategischen Antworten darauf gefunden. Chancen liegen hier bei beratungsintensiven Produkten und Dienstleistungen, auf die Amazon und Co (noch) keine Lust haben.
3 Key Take Aways
- Machen Sie beim Thema digitale Kundenschnittstelle mehr als ihr Wettbewerb. Viele schlafen bei dem Thema noch.
- Was sind ihre wichtigsten digitalen Kundenschnittstellen jetzt und in Zukunft? Investieren Sie genau hier.
- Ein spezifisches und beratungsintensives Produkt kann vor der Marktmacht der großen Plattformen schützen.
Dieser Aufsatz erschien im Tagungsband zum 3.#HSHLDigitalmarketingDay an der Hochschule Hamm-Lippstadt.
Literatur
[1] “. Bloching, B.; Leutiger, P.; Oltmanns, T.; Rossbach, C.; Schlick, T.; Remane, G. et al. (2015): Die digitale Transformation der Industrie.
in Roland Berger; BDI (01.02): DIE DIGITALE TRANSFORMATION DER INDUSTRIE 2015. Online verfügbar unter http://bdi.eu/media/user_upload/Digitale_Transformation.pdf., abgerufen am 22.11.2019
[2] Vivaldi GmbH (2017): Überleben 2020. Studie: Der Mittelstand im Kampf um die Digitale Kundenschnittstelle.
[3] Weidemann, T. (2018): Predictive Marketing: Der Blick in die Glaskugel. t3nMagazin. Online verfügbar unter https://t3n.de/news/predictive-marketing-kunde-analytics-voraussage-1106366/, zuletzt aktualisiert am 07.09.2018, zuletzt geprüft am 24.11.2019
[4] Dürand, Dieter; Kroker, Michael; Schnitzler, Lothar (2019): Digitale Transformation: Wie der deutsche Mittelstand zur Elite aufschließen kann. Wirtschaftswoche. Online verfügbar unter https://www.wiwo.de/unternehmen/mittelstand/digitale-transformation-drastischere-schritte-wagen/20083160-3.html, zuletzt aktualisiert am 24.11.2019, zuletzt geprüft am 24.11.2019.
[5] Defining generations: Where Millennials end and Generation Z begins. Online verfügbar unter https://www.pewresearch.org/fact-tank/2019/01/17/where-millennials-end-and-generation-z-begins/, zuletzt geprüft am 24.11.2019.
[6] Kroker, M.: Digital ist schneller: Telefon benötigt 75 Jahre für 100 Millionen Nutzer – Candy Crush nur 1,3 Jahre | Kroker's Look @ IT. Online verfügbar unter https://blog.wiwo.de/look-at-it/2017/02/01/digital-ist-schneller-telefon-benoetigt-75-jahre-fuer-100-millionen-nutzer-candy-crush-nur-13-jahre/, zuletzt geprüft am 24.11.2019.
[7] Rixecker, T. (2019): Alibaba macht am Singles‘ Day über 1 Milliarde Dollar – in der ersten Minute. t3nMagazin. Online verfügbar unter https://t3n.de/news/alibaba-singles-day-umsatz-1219692/, zuletzt aktualisiert am 11.11.2019, zuletzt geprüft am 24.11.2019.
[8] Parker, Geoffrey; van Alstyne, Marshall; Choudary, Sangeet Paul (2016): Platform revolution. How networked markets are transforming the economy - and how to make them work for you. First edition. New York, London: W.W. Norton & Company.
[9] WAZ: Booking.com darf Hotels niedrigere Preise verbieten. Online verfügbar unter https://www.waz.de/wirtschaft/guenstig-urlaub-buchen-bei-booking-oder-direkt-beim-hotel-id225942079.html, zuletzt geprüft am 24.11.2019.
[10] Zeng, Ming (2018): Smart business. What Alibaba's success reveals about the future of strategy. Boston, Massachusetts: Harvard Business Review Press.
[11] Hua, S. (11.11.): Online-Gigant: Alibaba erzielt neuen Verkaufsrekord beim Singles‘ Day. In: Handelsblatt 2019, 11.11. Online verfügbar unter https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/online-gigant-alibaba-erzielt-neuen-verkaufsrekord-beim-singles-day/25213624.html, zuletzt geprüft am 24.11.2019.
[11] Bakir, D. (2017): Das sind Amazons geheime Eigenmarken. Stern. Online verfügbar unter https://www.stern.de/wirtschaft/news/amazon--die-geheimen-eigenmarken-des-onlineriesen-7577786.html, zuletzt geprüft am 24.11.2019.
[12] Weidemann, T. (2018): Amazon pusht seine Eigenmarken – und stößt Marketplace-Händler damit vor den Kopf. t3nMagazin. Online verfügbar unter https://t3n.de/news/amazon-eigenmarken-marketplace-private-label-1118576/, zuletzt aktualisiert am 18.10.2018, zuletzt geprüft am 24.11.2019.